Stresssignale bei Pferden: Wie erkennt man sie?
Pferde sind Flucht- und Beutetiere. Wenn sich etwas in ihrer Umgebung verändert, reagieren sie schnell aufmerksam oder gestresst. Dies kann negative Auswirkungen auf unsere Interaktion mit ihnen, auf ihre Gesundheit und auf die Sicherheit haben. Wie erkennt man also Stress bei Pferden? In diesem Artikel erfährst du mehr über den Hintergrund und was du selbst tun kannst.
Stress
Wohlfahrt
27 November '25 • 5 Min Lesezeit
Während das Tierwohl früher vor allem als „Abwesenheit von Schmerz und Unbehagen“ definiert wurde, ist die Beschreibung heute viel breiter gefasst. Es geht nun auch verstärkt um die Frage, ob sich das Tier gut fühlt. Psychische Probleme stehen ebenfalls mehr im Fokus. Verschiedene Wissenschaftler und Autoren haben in den vergangenen Jahren versucht zu erforschen und zu beschreiben, woran man erkennen kann, ob ein Pferd sich gut oder schlecht fühlt. Das ist allerdings gar nicht so einfach. Es gibt zwar Listen mit Stressverhalten wie zum Beispiel sichtbares Augenweiß, Schweifschlagen oder nach hinten gelegte Ohren, doch sind viele dieser Punkte wissenschaftlich noch nicht eindeutig belegt. Trotzdem können wir als Besitzer viel tun, um Stress bei unseren Pferden so weit wie möglich zu reduzieren.
Stereotypien
Ein deutliches Zeichen für Probleme im mentalen Wohlbefinden eines Pferdes ist stereotypisches Verhalten. Damit ist sich wiederholendes Verhalten gemeint, mit dem ein Pferd versucht, sich bei Stress selbst zu beruhigen. Beispiele sind Luftsaugen oder Weben. Wenn ein Pferd dieses Verhalten entwickelt hat, hat es oft über einen langen Zeitraum Stress erlebt. Es kann sein, dass die Ursache des Stresses inzwischen verschwunden ist, das Pferd das Verhalten aber weiterhin zeigt – aus Gewohnheit. Das macht es manchmal schwierig zu beurteilen, wie ein Pferd sich tatsächlich fühlt. Viele bekannte Stereotypien wie Krippensetzen oder Luftsaugen hängen mit ungünstigem Management zusammen: zu wenig freie Bewegung, zu lange Boxenhaltung, zu wenig Sichtkontakt zu anderen Pferden, unzureichender Sozialkontakt und zu wenig Raufutter. Weniger bekannt ist, dass es auch sehr subtile Formen von stereotypem Verhalten gibt, etwa häufiges Lippenlecken, bestimmte wiederkehrende Kopfbewegungen oder andere, komplexere Verhaltensauffälligkeiten. Wenn dein Pferd plötzlich stereotypisches Verhalten zeigt, das vorher nicht da war, stimmt etwas nicht – dann solltest du unbedingt versuchen, die Ursache zu finden!
Apathisches Verhalten
Auch apathisches Verhalten – also wenn ein Pferd kaum oder gar nicht auf äußere Reize reagiert – ist ein klares Stresssignal. Beispielsweise beim Reiten kann ein Pferd, das immer schlechter auf Hilfen reagiert, anzeigen, dass etwas nicht stimmt. Vielleicht hat es Schmerzen durch einen schlecht sitzenden Sattel oder durch falsche Trainingsmethoden. Oder es fühlt sich mental schlecht, weil es zu wenig Sozialkontakt hat oder weil seine Versuche, mit seinem Menschen zu kommunizieren, nicht wahrgenommen werden. Auch in der Box oder in der Herde kann ein Pferd apathisch wirken. Es reagiert dann deutlich weniger als andere Pferde, wenn etwas Aufregendes oder Unbekanntes passiert. Apathie ist oft schwer zu erkennen. Therapeuten berichten manchmal, dass Besitzer sagen, das Pferd habe nach einer Behandlung „plötzlich den Charakter gewechselt“. Wenn ein Tier schmerzfrei ist, zeigt sich häufig, dass es gar nicht so „träge“ oder „bombensicher“ war, wie gedacht. Ein mental gesundes Pferd reagiert auf Reize – manchmal nur subtil. Neugier ist zum Beispiel eine Eigenschaft, auf die man achten sollte. Wenn ein Pferd nie aufmerksam ist, kann das ebenfalls ein Hinweis auf Schmerzen sein.
Subtile Stresssignale
Zum Glück sind die meisten Pferde weder apathisch noch zeigen sie Stereotypien. Und sie rennen auch nicht sofort weg, sobald sie etwas Beunruhigendes wahrnehmen. Stresssignale sind häufig viel subtiler. Deshalb übersehen viele Menschen diese Hinweise. Es lohnt sich als Besitzer, mehr über die körperlichen Signale zu lernen, mit denen Pferde Spannung ausdrücken. Diese subtilen Signale werden oft „beschwichtigende Signale“ genannt. Das liegt daran, dass das Pferd ein Herdentier ist. Fühlt es sich von einem anderen Pferd bedroht, versucht es zu deeskalieren – etwa, indem es den Körper abwendet oder Blickkontakt vermeidet. Direkt auf ein Pferd zugehen und es frontal anzustarren, wird daher oft als aggressiv wahrgenommen. Ein anderes Beispiel: Ein Pferd stellt sich zwischen einen beunruhigenden Reiz und ein nervöses Pferd, um dieses zu beruhigen. Dieses Prinzip kann man auch nutzen, wenn ein Pferd in der Reitbahn etwas gruselig findet: Eine vertraute Person stellt sich mit dem Rücken zum Pferd vor das „gruselige Objekt“. Man reitet daran vorbei, und diese Person geht nach und nach zur Seite, bis das Pferd die Ecke wieder alleine passieren kann.
Signale wahrnehmen
Die subtilen Stresssignale von Pferden sind vielfältig und zahlreich. Es ist unmöglich, sie hier alle aufzuzählen. Wichtig ist, sich bewusst zu sein, dass Pferde die Welt anders wahrnehmen als Menschen. Sie sehen anders und müssen den Kopf drehen, um Dinge hinter oder neben sich richtig einzuschätzen. Man kann Stress bereits verringern, indem man einem Pferd die Möglichkeit gibt, sich etwas genauer anzusehen, und es nicht gleich „festhält“, wenn es etwas Unbekanntes wahrnimmt. Auch der Geruchssinn und das Gehör von Pferden sind deutlich besser als die des Menschen. Pferde scheinen sogar in der Lage zu sein, menschliche Emotionen zu riechen. In einer Studie reagierten Pferde, die den Geruch eines ängstlichen Menschen wahrgenommen hatten, aufmerksamer und suchten häufiger den Kontakt zu einer vertrauten Person.
Einfluss des Menschen
Für uns als Reiter und Pferdebesitzer ist es wichtig zu wissen, dass unser mentaler Zustand starken Einfluss auf unser Pferd hat. Ein Pferd übernimmt Stress, Unsicherheit und eine erhöhte Herzfrequenz des Menschen, der es führt oder reitet. Deshalb reagiert dein Pferd anders, wenn du vor einem Turnier oder auf einem Ausritt nervös bist. Oder es hört schlechter zu, wenn du selbst abgelenkt bist. Oder es wirkt überdreht, wenn du selbst überreizt bist. Pferde, denen ein Foto eines wütend schauenden Menschen gezeigt wurde, zeigten eine erhöhte Herzfrequenz. Außerdem merken sich Pferde, wenn man verärgert oder ängstlich war. Vertrauen kommt zu Fuß und geht sprichwörtlich „zu Pferd“. Manchmal ist es daher besser, ein paar Mal tief in den Bauch zu atmen, bevor du dein Pferd von der Box oder Koppel holst. Lass den Stress des Tages los und übertrage ihn nicht auf dein Pferd. Oder steig ab, wenn das Training nicht gut läuft und du merkst, dass du frustriert wirst. Beginne die Interaktion mit deinem Pferd immer aus der Ruhe heraus. Pferde fühlen sich sicherer und reagieren besser, wenn du Gelassenheit und Selbstvertrauen ausstrahlst.
Quellen
Merkies, K.; Franzin, O. Enhanced Understanding of Horse–Human Interactions to Optimize Welfare. Animals 2021, 11, 1347. https://doi.org/10.3390/ani11051347
Lesimple, C. Indicators of Horse Welfare: State-of-the-Art. Animals 2020, 10, 294. https://doi.org/10.3390/ani10020294
Book: Kalmerende signalen van paarden door Rachael Draaisma.